Schließlich wurden die Seelsorger in der Gemeinde vom Domkapitel bezahlt – auch noch, als Essenheim schon lange protestantisch war. Klingt komisch? Ist aber so! Und hat mit der Ursprungsgeschichte des Dorfes zu tun: „Die Keimzelle Essenheims war die Gegend rund um den Dalles, den Ortsmittelpunkt – mit der Kirche und dem Tholeyerhof dahinter“, erzählt Stefan Mossel. Wer mit dem Vorsitzenden des Dorf- und Geschichtsvereins durch die Straßen und über die Feldwege wandert erfährt viel über die Gemeinde, die malerisch am südwestlichen Hang des Selztales liegt.
Zum Beispiel, dass der Tholeyerhof dort stand, wo heute das Pfarrhaus ist und ein Zehnthof der Benediktiner war, den diese 1260 ans Domkapitel übertrugen. Die Mainzer sammelten also den Zehnten der Essenheimer Bauern ein und waren damit auch für die Versorgung des Pfarrers zuständig. Und das galt auch noch, nachdem das Dorf und seine Gemarkung 1444 zum Hause Pfalz-Zweibrücken kam, der Herzog schließlich die Reformation einführte und damit zunächst der lutherischen, später der reformierten Kirche angehörte: das Domkapitel kassierte den Zehnten, hielt das Kirchenschiff instand, bezahlte den Pfarrer – und versuchte hin und wieder die Gegenreformation durch die Hintertür: „Die katholischen Pfarrer wurden aber immer wieder weggeschickt und irgendwann haben sich die Essenheimer dann durchgesetzt.“
NEUBÜRGER ERWEITERN PERSPEKTIVE
Der Dalles als Zentrum des Dorflebens. Das war früher so. Und so ist es heute. Hier spielt die Musik – politisch gesehen im Rathaus aus den 1820er-Jahren, profan betrachtet bei den vielen Dorffesten: Kerb, Domherrnfest, Musikfeste. Die Kirche thront hier über allem, der vermutlich aus dem 15. Jahrhundert stammende Turm ist weithin sichtbar. Der gehört übrigens der Ortsgemeinde – ein Überbleibsel aus der Zeit, als von der damaligen Wehrkirche aus auch die Verteidigung des Dorfes organisiert wurde. Das Langhaus – in seiner heutigen Form von 1775 - gehört schließlich der Kirchengemeinde. Gegenüber ist mit dem Domherrnhof eines der zentralen Gasthäuser der Gemeinde platziert, ein paar Ecken weiter steht der Rote Ochse, ein weiteres Traditionsgasthaus. An der dritten Platzkante ist schließlich vor einigen Jahren das Kunstforum eingezogen, das dem Dorf eine kulturell überregionale Bedeutung gibt.
Aber was heißt schon Dorf. Das ist in den vergangenen Jahren ganz schön gewachsen. Im 18./19. Jahrhundert, als der Dorfgraben noch die engen Grenzen vorgab, bevölkerten gerade mal 1000 Menschen Essenheim. Heute sind es fast vier Mal so viel. Dabei haben gerade die gegen Ende des 20. Jahrhunderts zugezogenen Neubürger auch die Perspektive des Ortes erweitert – zum Beispiel durch das Kunstforum, den Kunstverein und auch die Mitarbeit in der Kommune und in den Vereinen: „Dadurch hat sich vieles positiv verändert“, findet Stefan Mossel: „Essenheim wurde aufgewertet, ist bekannter geworden.“. Wer mehr zur Geschichte wissen will, dem empfiehlt sich ein Rundgang mit Mossel – etwa entlang des alten Dorfgrabens. Dann geht es vom Dalles zum Turnplatz, wo das Dorf ehemals aufhörte und ein Friedhof war, nachdem an der Kirche kein Platz mehr war. Zurück am Dalles geht es weiter die Kirchstraße hinauf, vorbei am alten Pfarrhaus, „mutmaßlich das einzige Haus, das noch aus der Zeit des 30-jährigen Krieges steht.“
Kurz vor dem neuen Friedhof biegt der Weg rechts in einen Grünzug ein, der hinter den Häusern der Hauptstraße entlangführt. Die wildromantischen Gärten bilden heute den Puffer zur Umgehungsstraße L426. Früher sammelte hier der zweigeteilte Graben das Wasser auf und leitete es um das Dorf herum den Hang hinunter.
WEIN GAB ES HIER SCHON FRÜH
Beim Rückweg durch die Hauptstraße fallen die großen Häuser und Höfe auf, die sich hier aneinanderreihen: „Die meisten stammen noch aus dem 18. Jahrhundert“, sagt Mossel.
Und man sieht: Essenheim war kein armes Dorf, es gab hier mehr als 200 Bauern mit Mischbetrieben – und schon früh Wein: eine Struktur, die der Gemeinde auch heute noch zu Gute kommt. 200 Hektar Weinbaufläche misst Essenheim, die bekannten Lagen sind Domherr und Teufelspfad. Die Gemeinde positioniert sich mittlerweile auch touristisch, dank einiger Straußwirtschaften, Hoffesten im Ort und preisgekrönten Winzern mit Erfolg. Am Wochenende im Sommer ist ganz schön viel los in den Höfen.
Zudem streift der Terroir-Wanderweg die Gemeinde und viele Radler scheuen ihn nicht, den steilen Anstieg vom Selztalradweg den Berg hinauf. Ob die durstigen Sportler denn auch den Blick haben für die Feinheiten im Ortsbild? Zum Beispiel den neuen Brunnen am Ende der Neubrunnenstraße: „Der gehört zum Rest der alten Wasserversorgung, die über einige übers Dorf verteilte Brunnen lief.“ Die Straße hinunter geht es ins Unterdorf, wo zum Beispiel in der Klappergasse die Synagoge der jüdischen Gemeinde stand, die zu Spitzenzeiten in den 1870er-Jahren 120 Personen stark war.
Danach schrumpfte die Gemeinde nach und nach: die Menschen flüchteten vor dem aufkeimenden Antisemitismus in die Städte oder ins Ausland. Ebenfalls im Unterdorf gab es bis ins 16. Jahrhundert hinein noch einen eigenen Gerichtsplatz - neben dem Dalles, der fürs Oberdorf zuständig war. „KleinFrankreich“ heißt die Gegend noch heute im örtlichen Sprachgebrauch, denn hier hatten die Franzosen zudem am Beginn des 19. Jahrhunderts einen Freiheitsbaum errichtet. Von „Klein-Frankreich“ aus geht es über die Münchhofstraße vorbei an dem Gelände, auf dem wahrscheinlich der Münchhof stand – der zentrale Wirtschaftshof des Klosters Eberbach im Mittelalter. Über die steile Straße der Champagne führt der Weg dann zurück zum Dalles.